Dienstag, 2. November 2010

Nachlese

Was ich wohl nie verstehen werde ist, warum die Zeit nach dem Urlaub immer länger ist, als der Urlaub selbst. Der ist nämlich schon vorbei, die Zeit danach dauert aber noch ziemlich lange an, möglicher Weise sogar bis zum nächsten Urlaub. Und diese Zeit muss man sich eben mit Erinnerungen vertreiben.
Die Koffer sind mittlerweile nicht nur schon ausgepackt, sondern sogar schon wieder ihrer normalen und artspezifischen Verwendung zugeführt: als Platzfresser im Kabuff. Nein! Nicht in meinem Kabuff, wo der Sand steht und welches zuweilen auch als 'Schreibstube' klassifiziert wird. Das wär ja noch schöner! Neinnein. Wir verfügen ja in unserem Appartement über mehrere Kabüffe, wo alle Platzfresser ihren angestammten Platz haben dürfen. Da wäre zum einen das In-Flat-Cab, das In-der-Wohnung-Kabuff also, und zum anderen das beliebte Out-Door-Cab, das Aus-der-Tür-raus-Kabuff. Manche sagen dazu auch Put-Down-Chamber, also Abstellkammer. Egal. Die Koffer sind derzeit jedenfalls unterwegs in das In-Flat-Cab und legen kurz vor dem Ziel noch eine Pause ein, bevor ihnen die finale Parkposition zugewiesen wird.

Wie dem auch sei, wir sind schon wieder seit über einer Woche in Berlin und genießen die erfrischende Kühle und müssen Gott sei Dank nicht mehr diese Affenhitze ertragen. Es hat schon alles seinen Vorteil. Auch, dass jetzt Zeit bleibt, in Ruhe über fast vergessene Episoden nachzudenken.

Supermarkt
Die heißen in Brasilien fast genauso, nur hinten mit -mercado und haben natürlich auch ihre Eigennamen, wie bei uns Penny oder Aldi. Die gibts da allerdings noch nicht (ich habe jedenfalls keinen Centavy oder Aldo gesehen) dafür aber erhebliche Unterschiede. Anders als hier, haben die zum einen scheinbar immer auf. Zum anderen übersteigt die Anzahl der Mitarbeiter die in unseren Lebensmittelfach- und Frischemärkten übliche Zahl '2' um ein Vielfaches. Zwei stehen schon mal vor der Tür und schauen dort nach dem Rechten und zuweilen nach links (damit wäre bei Norma keiner mehr im Laden). Hinter der Tür dann nochmal drei bis vier, die Ausschau halten nach potentiellen Sparfüchsen mit großen Hosentaschen. Beim Schlendern durch die riesigen Gänge fallen dann pro Gang weitere vier Weißkittel auf. Und dann kommt's: Die Kasse! Jetzt muss es aber klemmen, denkt der Mann aus Alemanha, und erwartet seine vertraute Schlange. Neee! Die haben nicht mal ein Laufband (brauchen somit auch keine Laufbandpolizisten oder Rentnerberuhigungsstäbchen oder wie die ollen Stöcker bei uns heißen). Das haben die auch nicht nötig, denn: Es gibt dort 30 (in Worten dreißig) Kassen (ich habe sie gezählt!) und die sind alle besetzt, auch noch um Mitternacht. Und nicht nur das. Hinter jeder Kasse tüten ein bis zwei Facheintüter die soeben erworbenen Waren ein. Unglaublich. Ja, und es gibt auch Wagen, wie bei uns, aber ohne Chip-Ritze oder Euro-Schublade. Man nimmt sich ein solches Fahrzeug und lässt es an der Kasse einfach stehen. Weil: Genau! Auch dafür gibt es qualifizierte Kräfte. Ales in allem ein perfektes System, das, würde man es hier zu Lande einführen, den Arbeitsmarkt ordentlich aufmischen würde.
Ich jedenfalls war begeistert.



My home is my castle
Nur als Randnotiz: Der gemeine und mittel- oder oberschichtige Carioca 1)  igelt sich ein, schottet sich ab, traut dem Frieden draußen nicht. Vor etwa jedem dritten Hauseingang in Rio ist ein Zaun, aber was für ein Zaun. Mit bis zu 10 cm dicken Gitterstäben plus reichlich Kameras und je nach Rang und Stand noch ein oder mehrere Wächter.
1) Carioca ist die geläufige Bezeichnung für den Rio-de-Janeiroaner und stammt aus der Indiosprache. (Ich dachte erst, der Name kommt von dem gleichnamigen Fluss, der dort plätschert.) Carioca heißt so viel wie Haus des weißen Mannes. Damit bezeichneten die Indios die Leute, die in den Häusern in Rio wohnten. Und so werden sie eben heute noch genannt.



Rekorde
Ja, also, ich weiß ja nicht, ob ihr es wusstet, aber ich wusste es nicht, dass der Amazonas auf seinem 6800 km langen Lauf über 10.000 Nebenflüsse aufnimmt, von denen mehr als zehn deutlich größer sind als unser Platzhirsch, der Rhein. Desweiteren befördert er pro Sekunde sage und schreibe 29 mal mehr Wasser ins Meer als Europas Klassenbeste, die Wolga. Und dann baden in ihm auch noch Delphine und andere bis zu 9 Meter lange Fische. Und ich war da ...
Den nächsten Rekord kennt ihr schon: Die Wasserfälle. Aber den übernächsten noch nicht. Maracana. Es ist wie Musik in den Ohren, für den Fußballer sogar eine ganze Sinfonie: Maracana. Das größte Stadion der Welt. Der Inbegriff für Fußball schlechthin. Das Denkmal, das Einzigartige, das Unerreichte. 200.000 Zuschauer. Und ich war nicht da. Da fahr ich schon mal dahin in dieses Rio und dann sagt die schöne Claudia: "Maracana? Oooh! Zu Maracana."  - "Ja," sag ich "wir wollen zu Maracana!" - "Nein! Ist Zu Maracana! Geschlossen!" Das gibt's doch nicht! Die ganze Reise umsonst, alle Strapazen vergebens. "Zu Maracana!" Dabei wollt' ich so schön mit Senor P. zu Fluminense gegen Botafogo oder Flamengo gehen. Wurde nichts draus - aber wir haben es wenigstens gesehen.

Rekordverdächtig ist auch der Fußball am Strand. Egal, ob Copacabana oder Ipanema - überall wird Fußball gespielt, stehen Tore und sind Felder abgesteckt. Es gibt sogar richtige Ligen mit richtigen Vereinen für Strandfußball. Aber der Strand ist ja breit und lang genug, damit auch die andere Nationalsportart Volleyball noch Platz findet. Und wer dazu keine Lust hat, spielt eben Fußball-Tennis, Peteca oder Strandtennis. Genial sind auch die Turn-Fitness-Stretch-Kombinationen aus Edelstahl, die dort überall rumstehen. Der Carioca treibt gerne Sport, viele joggen oder skaten und sei es nur mit einem motorgetriebenen Skateboard (Was es alles gibt ...).


Lurch
Und ich hab's tatsächlich vergessen. Bei meiner Kolumne über die Flußkreuzfahrt auf dem Amazonas / Rio Negro habe ich es vergessen. Wie es passieren konnte weiß ich nicht. Dabei ist diese Tat für mich so außergewöhnlich, dass ich es eigentlich nicht vergessen durfte.
Also: Ich stand ja schon oft wilden Tieren Auge in Auge gegenüber, habe schon heldenmütig Riesenkrabben in der Hand gehalten, jagte Waschbären auf meiner Datsche, erschrak mich vor gewaltigen Fischen beim Schnorcheln und habe Wale singen gehört. Aber das war dann doch schon eine andere Liga - dort auf dem Amazonas. Plötzlich und unerwartet stoppte unser Dampfer. Ein Einbaum legte an. Und an Deck kam - eine Anaconda. Eine echte und nicht aus dem Zoo. Anaconda. Wie das klingt. Gewaltig. Furchteinflößend. Sie kam natürlich nicht allein, sondern brachte noch einen Kaiman und zwei Indios mit, denen sie als Haustier dient. Und die präsentierten stolz ihren Besitz. Sie sei noch recht jung, meinten die Halter, mir jedenfalls war sie groß genug. Und: Ich habe sie todesmutig berührt, gestreichelt. Der Funken sprang natürlich sofort über - sieh sah mich an. Was für ein Brocken - geschätzte 3 Meter; gut, dass sie nicht stand. Und überhaupt nicht glitschig. Das Krokodil war auch ganz nett, hielt aber die Klappe, bedingt durch die Strippe, die ihm um selbige gewickelt wurde.
Die Anaconda und ich - ein erhebender Moment.




So!
Der Geschichten und Erlebnisse gibt es noch viele. Aber das soll es nun auch gewesen sein. Ich will Euch nicht überstrapazieren und noch länger von Eurem gewohnten Tagwerk abhalten.

Es war eine wunderbare Reise in eine wundersame Welt, von der ich berichten durfte. Es ist ein kleines Reisetagebuch entstanden, das mich noch lange erinnern soll an meinen Traum. An einen Traum, den ich irgendwie schon immer hatte und von dem ich glaubte, dass er nie in Erfüllung gehen würde. Vor langer Zeit stand eine Mauer im Weg und der Traum konnte nur geträumt werden. Aber über die Jahre habe ich ihn mir bewahrt und auch den Respekt und die Ehrfurcht vor dem Moment seiner Erfüllung. So war es in Paris, so war es in London, in New York, in Singapore. Und so wird es immer bleiben. Egal, wohin es geht. Es ist das Besondere, das Außergewöhnliche, das nie für möglich gehaltene, das große Glück, das man spürt, etwas erleben zu dürfen, was sich einmal jenseits der eigenen Vorstellungskraft befand. Es ist es wert, sich dieses Gefühl zu bewahren. Den Tränen zuliebe.

Und jetzt kann ich's ja sagen: Ich hatte Tränen in den Augen in Rio.
Und es war ein unbeschreiblicher Moment ...



ps.: Ein Beitrag kommt noch - der Abspann ...

1 Kommentar:

  1. Hallo mein Bester,

    wie du schon bemerkt hast werden deine Ausführungen aufmerksam gelesen. Aber an dieser Stelle muss ich ** Peter-Pingelich ** einen kleinen Irrtum aufklären.
    Im Zuge umfangreicher Renovierungen anlässlich der Panamerikanischen Spiele, die im Juli 2007 in Rio de Janeiro stattfanden, wurden der Innenraum mit dem Spielfeld um 1,40 m abgesenkt und neue Sitze eingebaut. Zwischenzeitlich fanden während den Umbauarbeiten nur etwa 44.000 Fans im ehemals größten Stadion der Welt Platz. Erst im November 2006, nach Abschluss sämtlicher Arbeiten, wurde mit 96.000 Sitzplätzen die endgültige Kapazität erreicht.
    Damit ist es auf Platz 13 zurückgefallen.

    Leider war das keine Baustelle die ich betreut habe.

    Das derzeit größte Stadion der Welt steht, das sollte man kaum glauben, in Nordkorea.
    Es nennt sich 1. Mai auch Rungrado May Day Stadium genannt und ist in Pjöngjang zu bestaunen.

    So..............
    Grüße aus dem Märischen..

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